3 unterschiedliche Arten, um (richtig?) mit Zitaten umzugehen

Geschriebenes

Gib es zu. Du hast es auch schon getan. Ich bin nicht der Einzige.

Ich spreche von Zitaten. Sei es, um eine Postkarte aufzupimpen, einen Vortrag zu würzen, ein Gespräch zu intellektualisieren, einen Blog-Beitrag aufzufrischen. Es geht aber nicht um Zitate, die wir uns in einem Klassiker anstreichen und in unser Notizbüchlein übertragen. Ich meine auch nicht Zitate, die uns vom letzten Tarantino-Film im Gedächtnis geblieben sind. Ich spiele auf die andere Art von Zitaten an. Genau, solche Zitate, wie wir sie auf aphorismen.de oder goodreads.com finden. Ja, auch diejenigen, die wir als Captions unterhalb der Bilder unserer Instagram-Freunde finden. Ich denke an jene Zitate ohne Kontext. Mündlich oder schriftlich. Nackter Text mit Anführungs- und Schlusszeichen. Und vielleicht einer Quelle – wenn’s gut kommt.

Darf man das? Darf man einen Textausschnitt aus seinem Kontext reissen? Darf man ein Zitat verwenden, ohne die Argumentation des Urhebers gelesen, reflektiert oder gar verstanden zu haben? Darf man zitieren, nur weil es cool, spannend, inspirierend oder kontrovers klingt?

Ich habe mich dazu der Philosophiegeschichte zugewendet, einer akademischen Disziplin, die sich den ganzen Tag damit beschäftigt, alte Texte, schlaue Texte, pragmatische sowie auch unverständliche Texte auseinanderzunehmen, zu segmentieren und weiterzuverwenden. Zumindest Philosophinnen und Philosophen müssten also einen klaren Massstab haben, wie man mit Zitaten umgehen sollte oder darf. Mindestens diese müssten sich einig sein, oder?

Das sind sie aber nicht. Kein bisschen. Im Gegenteil. Es fühlt sich an wie Politik. Es gibt ein Links, ein Rechts und eine Mitte. Es gibt verschiedene Lager, die sich streiten, widersprechen, relativieren. Ein Konsens scheint schon vom System her unmöglich, weil die verschiedenen Positionen ganz unterschiedliche Absichten verfolgen. Im Folgenden möchte ich drei (plausible) Positionen erläutern bzw. drei verschiedene Arten aufzeigen, wie in den Geisteswissenschaften mit Zitaten umgegangen werden kann.


1. Die historische Herangehensweise

Jede Art von Text entsteht in einem komplexen Netzwerk aus gesellschaftlichen Einflüssen und kulturellen Strömungen. Das Gesagte ist immer zu einem Teil ein Symptom des Zeitgeistes. Ob man will oder nicht.

Die historische Herangehensweise macht den zeitgenössischen Kontext zu ihrem Fokus. Es geht darum, den Text unter Berücksichtigung der historischen Umstände zu lesen und alle bekannten Aspekte des Kontextes in die Interpretation miteinzubeziehen. Ob der Text einen plausiblen und wichtigen Inhalt transportiert, ist dabei nicht relevant – ein Text ist primär ein Stück Zeitgeschichte.


2. Der rationale Umgang

«Was sagt ein Text und wie sagt er es?» Dies steht im Zentrum des rationalen Umganges mit Zitaten. Dazu wird ein Text zergliedert und analysiert und die Argumente werden rekonstruiert. Mit einer rationalen Perspektive versucht man so, möglichst plausible Überlegungen und eine möglichst kohärente Position des Autors aus dem Text zu extrahieren.

Das Ziel ist es – einfach gesagt – herauszufinden, was der Autor mit seinem Text tatsächlich ausdrücken wollte. Und – wie bestimmt bekannt – ist das oft keinesfalls einfach.


3. Der appropriationist-approach

Aus Mangel an einem adäquaten deutschen Begriff muss ich hier auf den schicken englischen Ausdruck Appropriationism zurückgreifen. Appropriation Art ist eine künstlerische Ausdrucksform, bei der bewusst und öffentlich die Kunst eines anderen kopiert und weiterverwendet wird. Der Akt der Aneignung des Vorhandenen wird dabei als Kunst verstanden, weshalb es sich auch nicht um ein Plagiat handelt. Ähnlich funktioniert es beim appropriationist-approach im Bezug aufs Zitieren. Es geht um die Instrumentalisierung eines historischen Textes für aktuelle Zwecke.

Bei dieser Herangehensweise liegt die Absicht nicht darin, herauszufinden, was der Autor tatsächlich gesagt hat. Vielleicht ist dies nämlich gar nicht möglich. Vielmehr liegt der Fokus darin, den Text für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Es sollen ihm Thesen und Argumente zugeschrieben werden, die für heutige Debatten relevant sind. Zitate sollen dazu dienen, den eigenen Standpunkt, die eigene Meinung zu unterstützen oder zu reflektieren. Pragmatik steht im Vordergrund.


Welche der drei Umgangsweisen ist die beste? Keine und jede. Alle haben ihre Berechtigung. Und jede Art hat ihre Problemzonen. Jede der drei Herangehensweisen kann sowohl verteidigt als auch auch kritisiert werden. Aber darum geht es vermutlich gar nicht. Wenn wir miteinander ein sinnvolles und sinnstiftendes Gespräch haben möchten und auf gegenseitiges Verständnis abzielen, so ist es – wie immer – wichtig zu wissen, welche Perspektiven es gibt. Genauso ist es auch beim Umgang mit Zitaten. Es gibt keine richtige oder falsche Variante. Es gibt verschiedene.

Trotzdem sieht man sich vermutlich zum einen oder anderen Umgang etwas mehr hingezogen. Ich gehöre am ehesten zum rationalen Lager. Und Du?


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