Priorität vs. Prioritäten

Geschriebenes

Das deutsche Wort «Priorität» existiert seit dem 17. Jahrhundert und kommt vom französischen «priorité», welches sich auf das lateinische Wort «prior», der Erste, der Vordere zurückverfolgen lässt. Die Pluralform «Prioritäten» entstand erst 200 Jahre später, im 19. Jahrhundert. Nach Google Ngram erhielt Prioritäten erst nach 1950 auch tatsächlich Verwendung in der deutschen Sprache.

Die Etymologie von Prioritäten trifft de Nagel des Zeitgeists auf den Kopf. Alles wird mehr, alles wird wichtiger. Indem wir Priorität pluralisieren, versuchen wir, die Realität unseren Erwartungen anzupassen. Aber alles ist nicht möglich.

Eine Priorität setzen bedeutet Stellungnahme zu beziehen. Wir geben der Priorität einen Vorrang. Geben ihr Bedeutung. Geben ihr unsere Zeit und qualitativ beste Arbeit. Die Priorität erhält unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir setzen eine Priorität mit dem Bewusstsein, dass anderes ihr weichen muss.

Wie lautet das Ergebnis, wenn wir anstelle einer Priorität mehrere Prioritäten setzen? Wenn wir alles machen und alles haben möchten, unsere Zeit und Energie aber begrenzt ist? Wir machen einen Millimeter Fortschritt in 1000 Richtungen, anstatt dass wir unsere Energie konzentrieren und einen bedeutenden Beitrag leisten1.

Richard Feynman, Nobelpreisträger in Physik, betonte die Wichtigkeit von zielgerichtetem Priorisieren in seiner Sammlung «The Pleasure of Finding Things Out: The Best Short Works of Richard P. Feynman». Feynman hatte eine selbst auferlegte Regel, keinerlei Verantwortung zu übernehmen. Natürlich, würde er liebend gern. Doch er war sich bewusst, dass er Abstriche in Kauf nehmen musste, um sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. So machte er Fortschritte in jenem Bereich, der ihm wirklich wichtig war, der Physik:

«To do high, real good physics work you do need absolutely solid lengths of time, so that when you’re putting ideas together which are vague and hard to remember, it’s very much like building a house of cards and each of the cards is shaky, and if you forget one of them the whole thing collapses again. You don’t know how you got there and you have to build them up again, and if you’re interrupted and kind of forget half the idea of how the cards went together—your cards being different-type parts of the ideas, ideas of different kinds that have to go together to build up the idea—the main point is, you put the stuff together, it’s quite a tower and it’s easy [for it] to slip, it needs a lot of concentration—that is, solid time to think—and if you’ve got a job in administrating anything like that, then you don’t have the solid time. So I have invented another myth for myself—that I’m irresponsible. I tell everybody, I don’t do anything. If anybody asks me to be on a committee to take care of admissions, no, I’m irresponsible, I don’t give a damn about the students—of course I give a damn about the students but I know that somebody else’ll do it—and I take the view, “Let George do it,” a view which you’re not supposed to take, okay, because that’s not right to do, but I do that because I like to do physics and I want to see if I can still do it, and so I’m selfish, okay? I want to do my physics.»

Wir leben in einer Welt des kultivierten Lärms. Ablenkung ist überall. Du entscheidest, worauf du dich einlässt und was dir wichtig ist. Abtausch ist unvermeidbar. Oder wie Greg McKeown in «Essentialism»1 erklärt: «We can either make our choices deliberately or allow other people’s agendas to control our lives.» Du entscheidest. Du priorisierst.


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