Hörbücher und Podcasts – Ein Liebesbrief an das Medium “Audio”

Geschriebenes

Mit der Erfindung von Kopfhörern und mobilen Abspielgeräten hat man realisiert, dass über die Ohren nicht nur Musik gehört werden kann. In der Form von Hörbüchern und später Podcasts ist ein völlig neues Medium entstanden.

Nur waren diese zwei Formen der Vermittlung bis vor wenigen Jahren absolut unbrauchbar. Weshalb? Hörbücher waren teuer und umständlich (zu viele CD’s oder Kassetten pro Titel). Podcasts waren unzuverlässig und die Auswahl ernüchternd.

Die Technologie hat diese Probleme gelöst. Günstigere und praktische Lösungen wie Audible ermöglichen heute den Zugang zu über 200’000 Hörbüchern. Apple Podcasts bietet eine Auswahl von über 600’000 aktiven Shows in über 100 Sprachen. Und das mobile Datennetz funktioniert gut genug, um die Episoden ruckelfrei zu streamen oder mit einem Fin­ger­schnip­pen herunterzuladen. Eine völlig neue Welt hat sich uns eröffnet: Audio On-Demand, immer und überall.

Warum bin ich von diesem Medium derart begeistert? Was macht das Gehörte so aussergewöhnlich?

Man ist nicht mehr an das geschriebene Worte gefesselt, man kann sich vom stationären Lesen loslösen. Im Gegensatz zum konzentrierten und aktiven Lesen funktioniert Zuhören auch nebenbei: Beim Pendeln, beim Sport oder beim Gemüse schneiden.

Zuhören braucht – im Vergleich zum Lesen – kaum Anstrengung. Lauschen ist das Natürlichste überhaupt. Der Kanal über das Ohr ist immer offen. Man kann nicht nicht zuhören. Audio transportiert zudem nicht nur einen Inhalt, sondern auch eine Stimme, ein Gefühl, ein Timbre – es trifft und erschüttert einen ganz anderen Bereich unseres Gehirns als das Lesen.1

Ein weiterer Vorteil lässt sich etwas schwieriger in Worte fassen. Es geht um Selbstgespräche. Innere Monologe und Dialoge lenken mich im Alltag: Was ich tun soll, wie ich denken soll, wer ich bin. Setze ich Kopfhörer auf und lasse eine Audiodatei laufen, so werden diese Stimmen überspielt. Überspielt von einer externen Stimme meiner Wahl. Indem ich auswähle, was ich höre, bestimme ich, was ich fühle und denke. Auch wenn ich nicht immer allen Aussagen zustimme, so identifiziere ich mich doch mit dem Gesagten. Das ist der Grund, weshalb ich mich so einfach von Hörbüchern und Podcasts inspirieren lasse. Das Gehörte wird zu einem Teil meiner Selbst.


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PODCASTS

Aus keiner anderen Quelle habe ich in letzter Zeit so viele Ideen geschöpft, verarbeitet und weiterentwickelt. Vielleicht liegt es in der Natur von Podcasts. Ich bin gerne die Fliege an der Wand, wenn zwei Experten miteinander diskutieren. Zuzuhören und ohne mich einmischen oder reagieren zu müssen, neues Wissen aufsaugen. Podcasts ermöglichen zudem eine Intimität, die vor einem Publikum oder in einem Radio nicht gegeben ist. Ausserdem haben Podcasts nicht den Anspruch, den Massen gefallen zu wollen. Podcasts dürfen oder müssen spezifisch sein, sie haben kein vorgegebenes Format oder Länge.

Die Form eines Gesprächs oder einem Interviews erlaubt einem, nicht nur von den Informationen zu profitieren, sondern auch die Kommunikation zwischen den Sprechenden zu studieren. Welche Fragen gestellt werden, welche Formulierungen verwendet werden und wie das Gespräch geleitet wird, ist für mich oft genau so wichtig wie die Inhalte.

Podcasts sind oft zugänglicher und einfacher verständlich als Hörbücher, weil nicht nur ein Schriftstück vorgelesen wird. Podcasts werden in mündlicher Form konzipiert, aufgenommen und verbreitert. Die Informationsdichte und die Komplexität sind geringer, was das Ganze etwas näher an das alltägliche Sprechen und Zuhören bringt.

Hier einige Podcasts, die ich liebe und regelmässig höre:

Design Matters with Debbie Millman
Akimbo: A Podcast from Seth Godin
The Moment with Brian Koppelman
The Tim Ferriss Show
The James Altucher Show
Dan Carlin’s Hardcore History


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HÖRBÜCHER

Seth Godin schreibt in einem Blogpost, dass es drei Arten von Menschen auf der Welt gibt. Solche, die Hörbücher mögen beziehungsweise solche, die sie nicht mögen und eine grosse Mehrheit, die es noch nie versucht hat. Das Image von Hörbüchern war lange Zeit nichts Geringeres als katastrophal. Die Autoren machten nur einen winzigen Gewinn mit Hörbüchern. Die Produktion war kostenintensiv und die Verkaufszahlen unterirdisch.

Völlig zurecht. Niemand wollte seinen begrenzten Regalplatz, das Handschuhfach im Auto oder den Rucksack mit gefühlt hundert CD’s auffüllen, nur um Rufus Becks wunderbaren Version des ersten Bandes von Harry Potter zu hören.

Der digitale Raum hat den Platzmangel beseitigt. Speicherplatz hat keine räumliche Komponente mehr. Der Long Tail kommt ins Spiel. Audible und andere Anbieter, welche als Pioniere in der Branche aufgetreten sind, haben unendlich umfangreiche Kataloge an Titeln. 

Dennoch…

Für viele Bücher ist die Papierversion geeigneter. Über Audio gehen inhaltliche Informationen verloren, weil Literatur nicht einfach 1:1 vom Lesen ins Hören übersetzt werden kann. Viele Werke sind zu kompliziert oder zu einfach, um gehört zu werden. 

Aber darum geht es nicht. Es ist etwas anderes.

Ein paar Schatztruhen, die ich wärmstens empfehlen kann:

– Sam Harris – Lying
Derek Sivers – Anything You Want
Ausgabe Rosamund & Benjamin Zander – The Art of Possibility
Steve Martin – Born Standing Up
Patti Smith – Just Kids
Matthew Walker – Why we sleep
David Graeber – Debt
Carlo Rovelli – The Order of Time

Weshalb nur englische und amerikanische Titel? Weil ich nur dazu etwas erzählen kann. Ich habe kaum etwas Deutsches gehört oder gemocht. Sende mir deine deutschen Empfehlungen an fabio@valsangiacomo.info.

Viel Spass beim Hören!2

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Animiert von Bill Domonkos mithilfe von Aufnahmen aus den Prelinger Archives und einer Fotografie von The Library of Congress. (Quelle)

Anmerkungen:
1 Es geht nicht um Lesen versus Hören. Audio ist eine Ergänzung, ein anderes Medium, kein Konkurrent. Ich studiere Literaturwissenschaften und glaube deshalb, den Wert von Geschriebenem zu kennen 🙂 


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