Weihnachten und eine Prise Weltschmerz

Geschriebenes

1942 schreibt Friedrich Dürrenmatt an Heiligabend seine allererste Geschichte in ein Notizbuch. Im christlichen Kerzenschein zeichnen einige wenige Zeilen des Schweizer Schriftstellers Schattenbilder an die Wand, die einen nicht kalt- aber vor Kälte erschaudern lassen.

Im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache von 1977 wird Weltschmerz beschrieben als «Gefühl des Schmerzes, der Trauer, das jmd. über seine eigene Unzulänglichkeit, die er zugleich als Teil der Unzulänglichkeit der Welt, der bestehenden Verhältnisse betrachtet, empfindet» Geprägt von Jean Paul im 18. Jahrhundert bezeichnet der Begriff eine seelische Lebenswehmut, schmerzhafte Melancholie, und drückende Trauer…. Was versuche ich eigentlich zu beschreiben, was selber wahrgenommen werden muss? Dürrenmatts Kurzgeschichte liest sich folgendermaßen:

Es war Weihnacht. Ich ging über die weite Ebene. Der Schnee war wie Glas. Es war kalt. Die Luft war tot. Keine Bewegung, kein Ton. Der Horizont war rund. Der Himmel schwarz. Die Sterne gestorben. Der Mond gestern zu Grabe getragen. Die Sonne nicht aufgegangen. Ich schrie. Ich hörte mich nicht. Ich schrie wieder. Ich sah einen Körper auf dem Schnee liegen. Es war das Christkind. Die Glieder weiß und starr. Der Heiligenschein eine gelbe gefrorene Scheibe. Ich nahm das Kind in die Hände. Ich bewegte seine Arme auf und ab. Ich öffnete seine Lider. Es hatte keine Augen. Ich hatte Hunger. Ich aß den Heiligenschein. Er schmeckte wie altes Brot. Ich biß ihm den Kopf ab. Alter Marzipan. Ich ging weiter.

Caspar David Friedrich, Gebüsch im Schnee, 1827


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