Peter Bichsel über Solidarität durch Literatur

Geschriebenes

«Ich glaube nicht, dass es irgendwo auf der Welt einen einzigen Menschen gegeben hat, der nach dem Theaterbesuch eines Brecht-Stücks zum Kommunisten geworden wäre», erklärt Peter Bichsel in einem Interview mit Hans Ulrich Obrist für Das Magazin. «Aber viele Einsame, die da im Theater saßen und die bei einem Satz von Brecht aufgehorcht haben und gelächelt, haben drei Reihen weiter eine Frau gesehen, die auch gelächelt hat.»

Literatur ist eine einsame Angelegenheit. Ob man nun im Theater sitzt oder vor aufgeschlagenem Buch; man folgt den Worten und (Sprach)Handlungen, man verarbeitet und interpretiert, man erlebt und fühlt mit, kritisiert und distanziert sich vom Geschehen – ganz für sich allein.

Doch laut Bichsel gibt eine weitere, eine soziale Komponente von Literatur. Es handle sich um Dinge wie ein Lächeln im Theatersaal oder eine Umarmung auf der Straße, welche die individuelle Auseinandersetzung überhaupt erst lohnenswert machen. Du wirst gleich wissen, was damit gemeint ist meine. Doch dazu muss ich erst den den Rest des von Bichsels Zitats mit dir teilen:

«Wenn ich zwei Menschen sehe, die auf der Straße aufeinander zugehen und sich umarmen, ist mein erster Gedanke: Die haben dasselbe Buch gelesen. Lesen solidarisiert. Auf die berühmte Frage ‘Welches Buch nehmen Sie mit, wenn Sie für den Rest Ihres Lebens auf eine einsame Insel verbannt werden?’, antworte ich: ganz sicher keines. Weil das Lesen nach zwei Wochen keinen keinen Sinn mehr ergibt, wenn man keinen anderen Leser findet, zu dem man sagen kann: ‘Hast du das gelesen? Ist das nicht wunderbar? Ist das nicht großartig?’»

Da wir nun dieselbe Leseerfahrung gemacht haben: Ist das nicht wunderbar? Ist das nicht großartig?


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