Theatrealität

Geschriebenes

Zivilgesellschaftliche Veränderung passiert aus einem Mangel heraus: Es wird versucht, einen Zustand herbeizuführen, der dem gegenwärtigen entgegensteht, mit (Kommunikations-)Medien, die zuerst angeeignet werden müssen und einer Autorität, die zum Zeitpunkt des Engagements infrage steht.

Gleichzeitig soll die Handlung, die durch jene Mängel gefährdet wird, ebendiese Mängel kompensieren. Damit also zivilgesellschaftliche Veränderung gelingen kann, muss ein Kontext kreiert werden, der zivilgesellschaftliche Veränderung möglich macht. Weil aber diese Rahmenbedingungen erst durch die Handlung selbst hervorgebracht werden können, muss die nötige Autorität aus der Zukunft geliehen werden. In anderen Worten: Es muss zivilgesellschaftliche Veränderung vorgespielt werden, da sie überhaupt irgendwann Realität werden kann.


Anmerkung: Die Idee für diesen Beitrag stammt aus Martin Puchners Studie Poetry of the Revolution: Marx, Manifestos, and the Avant-Gardes (2006). Puchner beobachtet: «Manifestos want to create the context that will have ensured its speech acts have been properly authorized by an authorizing context.“ (S. 24) Dazu sei ein Moment der Inszenierung nötig, weil die postulierte Autorität zum Publikationszeitpunkt nicht der Realität entspricht. Puchner bezeichnet dies als die ‘Theatralität von Manifesten’: [T]theatricality of the manifestos describes a pose of authority without which it could not utter a single word. More precisely: theatricality describes a space between absolute powerlessness and the secure position of the sovereign, a play that the manifestos explore without yet knowing whether the project of usurping power will work out. (S. 26)

Bild: Detail aus Woman in black dress (ca. 1890–1907) von Edward Penfield, The New York Public Library – Quelle.


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