Anfängergeist – Das Zen-Konzept für eine breite Palette an Möglichkeiten

Geschriebenes

Mit Wiederholung kommt Routine, mit Routine kommt eine Erwartungshaltung. Wenn wir eine Übung nicht zum ersten Mal ausführen, haben wir eine Vorstellung des Resultats. Wir projizieren unsere Erwartung auf die Aufgabe, die ansteht. Wir kennen das Resultat, bevor wir beginnen.

Waren die letzten Wiederholungen erfolgreich, so versuchen wir das Ergebnis zu reproduzieren. Waren die vorherigen Durchgänge enttäuschend, erwarten wir auch dieses Mal keinen positiven Ausgang. Bei Wiederholung einer Übung verlieren wir leicht die ursprüngliche Einstellung dazu.

Im Japanischen gibt es den Ausdruck shoshin – übersetzt Anfängergeist. Shunryu Suzuki erklärt in seinem Buch «Zen-Geist – Anfängergeist» das Prinzip, die Praxis so anzugehen, als würde man sie zum ersten Mal ausführen. Ohne Erwartung, ohne Vorurteil:

«Im Anfänger-Geist gibt es keinen Gedanken: „Ich habe etwas erreicht.“ Alle selbstbezogenen Gedanken grenzen unseren unendlich weiten Geist ein. Wenn wir nicht daran denken, etwas zu erreichen, nicht an uns selbst denken, sind wir wahre Anfänger. Dann können wir wirklich etwas lernen.»

Wie uns das Sprichwort aus Zen-Buddhismus lehrt, können wir nur «eine leere Schüssel füllen». «Für einen Menschen ist es unmöglich», wie Epiktet erklärt, «das zu erlernen, was er bereits zu wissen meint.» Um zu lernen, dürfen wir nicht glauben, wir wissen, was wir tun.

Das Ziel der Praxis ist es, nicht dualistisch zu denken. Der Anfängergeist «ist immer reich und genügt sich selbst». Es gibt kein Gut und Schlecht, es gibt keinen Erfolg und kein Verfehlen, es gibt nur die Praxis. Suzuki schreibt:

«Wenn ihr zu viele Unterscheidungen trefft, begrenzt ihr euch selbst. Wenn ihr zu viel verlangt oder zu gierig seid, ist euer Geist nicht reich und selbstgenügsam.»

Geh nicht nur zur Arbeit, weil du gestern auch schon bei der Arbeit warst. Kümmere dich nicht um deine Beziehungen, weil du das schon immer so getan hast. Auf eine Erwartung folgt Enttäuschung. Der Tag ist nicht jedes Mal gleich, er ist jedes Mal neu.

Wenn wir keine Erwartungshaltung haben, ist unser Geist leer. Und nur so werden wir zu immer besseren Anfängern:

«Wenn euer Geist leer ist, ist er stets für alles bereit; er ist offen für alles. Im Anfänger-Geist gibt es viele Möglichkeiten, im Geist des Experten nur wenige.»



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