Was uns fasziniert, …

Geschriebenes

… ist selten das Offensichtliche, das uns an der Hand führt und die Augen öffnet.

… ist in der Regel nicht das Anspruchsvolle, das uns aus unerreichbarer Distanz zuwinkt und scheitern lässt.

… ist aber auch nicht das Aussergewöhnliche, das uns durch seine Andersartigkeit aufhorchen lässt und irritiert.

Was uns fasziniert, ist das Offensichtliche, das auf den zweiten Blick in tausend Stücke zerfällt. Was uns fasziniert, ist das Anspruchsvolle, das uns ganz nah scheint, doch wir nie ganz zu fassen kriegen. Was uns fasziniert, ist das Aussergewöhnliche, in welchem wir das Gewohnte wiederkennen.

Philosophische Texte von Aristoteles oder Descartes werden heute noch intensiv studiert und diskutiert, weil sie genau mit dieser Balance spielen. Manchmal wird ein Argument widerlegt. Doch dann dauert es in der Regel nicht lange, bis jemand den Finger hebt und sagt: «Moment! Vielleicht haben wir einfach zu wenig genau hingeschaut.»

Fast alle Werke, die den Test der Zeit überstanden haben, lösen in uns dieses sonderbare Gefühl aus. Man sieht, liest oder hört und spürt, dass irgendetwas nicht stimmt. Irgendetwas geht da nicht auf – doch was genau? Und plötzlich ist man sich nicht mehr sicher, ob man nicht doch etwas falsch verstanden hat. Dann vertieft man sich weiter, stolpert über die nächste Ungereimtheit, nur um sich wieder selbst zu hinterfragen. Etwas scheint verborgen, doch kommt nie ganz zum Vorschein. Man schnappt danach, doch fällt immer wieder aufs Gesicht.

Und die Auseinandersetzung geht weiter. Und die Faszination dauert an…


Bild: Ausschnitt aus dem Garten der Lüste von Hieronymus Bosch, ca. 1490.
Inspiration: Den Grundgedanken habe ich frecherweise und ohne zu fragen von einem meiner Philosophieprofessoren übernommen – ich hoffe, das ist in Ordnung : )


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