Büchners Lenz und das Leben in der Kunst | Literaturbrocken #7

Geschriebenes

Krumme Linien lassen sich auf der Leinwand korrigieren. Dreck kann in Sätzen weggewischt werden. Unschöne Szenen können ausgespart und die Perspektive geformt werden. Kunst ist zwar immer Darstellung, aber was und wie etwas vor Augen geführt wird, kann kilometerweit auseinander liegen.

Wo die eine harmonisiert und ein Ideal skizziert, da zeigt der andere, wie es ist. Was richtig und besser ist, dazu hat der Protagonist in Büchners Lenz (1839) eine eindeutige Meinung. Er hält dieses feurige Plädoyer für einen wirklichkeitsnahen Realismus:

«Ich verlange in allem Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist’s gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es hässlich ist, das Gefühl, daß Was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen Beiden, und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen. Übrigens begegne es uns nur selten, in Shakespeare finden wir es und in den Volksliedern tönt es einem ganz, in Göthe manchmal entgegen. Alles Übrige kann man ins Feuer werfen. Die Leute können auch keinen Hundsstall zeichnen. Da wolle man idealistische Gestalten, aber Alles, was ich davon gesehen, sind Holzpuppen. Dieser Idealismus ist die schmählichste Verachtung der Natur. Man versuche es einmal und senke sich in das Leben des Geringsten und gebe es wieder, in den Zuckungen, den Andeutungen, dem ganzen feinen Mienenspiel […]. Es sind die prosaischsten Menschen unter der Sonne; aber die Gefühlsader ist in fast allen Menschen gleich, nur ist die Hülle mehr oder weniger dicht, durch die sie brechen muß.» (S. 18)

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Bild: Le Jardinier (ca. 1885) von Paul Cézanne – Quelle.


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